FORSCHUNGSGESCHICHTE

Ein- bis zweimal pro Woche hält vor jedem Haus ein Lastwagen, um den Siedlungsabfall einzusammeln: In den meisten Schweizer Gemeinden ist dies nach wie vor das vorherrschende Szenario, das jede Menge Emissionen und Lärm verursacht. Um die Auswirkungen dieser Art der Abfallsammlung zu reduzieren, hat die Decision Support & Operations Research Group (DS&OR) des Informatikdepartements der Universität Freiburg, die dem Smart Living Lab angegliedert ist, ein interaktives Tool entwickelt. Es basiert auf Optimierung- salgorithmen und ermöglicht den Gemeindebehörden, sich für jene Sammlungsstrategie zu entscheiden, die ihren Bedürfnissen am besten entspricht. Zugleich können sie ihr System effizienter und nachhaltiger gestalten.

«Mit Daten wie der Menge des anfallenden Abfalls, der Konfiguration des Strassennetzes und der Bevölkerungszahl sind wir in der Lage, den zuständigen Behörden fundierte, mit Zahlen abgestützte Argumente zu liefern, um ihr Abfallsammelsystem zu verbessern», erklärt Dr. Vera Fischer, ehemalige Senior Researcher der Forschungsgruppe DS&OR. Für die Durchführung dieses Projekts namens «Entscheidungsunterstützung für eine effiziente und nachhaltige Kehrichtsammlung» wurde eine Partnerschaft mit der Schwendimann AG eingegangen. Das Unternehmen ist auf den Transport, die Bewirtschaftung und die Entsorgung von Abfällen spezialisiert. Das Projekt, das Kompetenzen in Mathematik, Wirtschaftsinformatik und Wirtschaft erforderte und auf eine Reduktion der Umweltbelastung durch den Abfalltransport abzielte, wurde teilweise durch das Smart Living Lab finanziert. «Die Schwendimann AG ist für rund dreissig Gemeinden im Grossraum Bern tätig. Das Unternehmen hat bereits ein Spin-off – die System-Alpenluft AG – gegründet, um den Gemeinden und ihren Müllabfuhren einen Beratungsdienst anbieten zu können. Es wünschte sich ein wirkungsvolles Werkzeug, um seine Kundinnen und Kunden bei ihren Entscheidungen zu unterstützen», sagt Vera Fischer.

Die Müllabfuhr stellt die Verantwort- lichen der Gemeinde nämlich weiterhin vor eine grosse Herausforderung: Es geht nicht nur darum, den öffentlichen Raum sauber zu halten, sondern auch darum, die von ihr verursachten Auswirkungen auf die Umwelt zu verringern.

Vera Fischer

Ein von Innosuisse finanziertes Projekt

Innosuisse, die schweizerische Agentur für Innovationsförderung, sah in diesem Projekt Potenzial, das die Möglichkeiten des Partnerunternehmens überstieg, und beteiligte sich finanziell daran. «Wir arbeiten an einer mathematischen Modellierung für eine Optimierung des Transports und der Sammlung von Abfällen», erläutert Dr. Meritxell Pacheco Paneque, Spezialistin für mathematische Modellierung in den Bereichen Logistik, Transport und Mobilität. «Die entwickelten Algorithmen können als Arbeitsgrundlage für Projekte in weiteren Bereichen dienen, beispielsweise im Lieferwesen». Von den dreissig Gemeinden, für die Schwendimann AG tätig ist, wurden sechs für die Teilnahme an Pilotversuchen ausgewählt, um die Sammelsysteme für die Entwicklung des interaktiven Tools und seiner Optimierungsalgorithmen zu validieren.

Das Tool kann in jeder Gemeinde verwendet werden, unabhängig von ihrer Grösse oder ihrer Einwohnerzahl. Wenn die Daten verfügbar sind, können sie in das von uns entwickelte System eingegeben werden.

Vera Fischer

Eine Variante mit Elektrofahrzeugen

Die Forschungsgruppe DS&OR berücksichtigte bei ihren Berechnungen drei Möglichkeiten der Abfallsammlung: das herkömmliche System mit schweren LKWs mit Heckbeladung, ein System mit Sammelstellen, die aus Containern oder Presscontainern bestehen, in denen die Leute ihren Abfall entsorgen, und einSammelsystem mit kleinen Elektrofahrzeugen und Zwischenlagern, an denen die Lastwagen den gesammelten Abfall abholen. Letztere Option wurde in einem Feldversuch getestet, dabei wurden Elektrofahrzeuge eingesetzt, die denen der Schweizerischen Post ähneln. Vera Fischer erläutert: «Wir wollten wissen, wie schnell sich die Anhänger füllen. Uns interessierte auch, wie die Bevölkerung auf diese kleineren, langsameren und leiseren Fahrzeuge reagieren.»

Entwicklung einer interaktiven Anwendung

Die Partnerschaft mit der Schwendimann AG wurde mit der Bereitstellung einer interaktiven Anwendung abgeschlossen. Ihr Spin-off System-Alpenluft AG bietet sie ihrer Kundschaft an. Sie ermöglicht es, eine Prognose zu den drei berücksichtigten Sammelsystemen zu erstellen. Die Behörden erhalten auf diese Weise Kennzahlen in Bezug auf Kosten, Leistung, notwendige Treibstoffmenge oder Nachhaltigkeit und können sich dementsprechend für eines der Sammelsysteme entscheiden. Im Rahmen dieser nun beendeten Partnerschaft konnte die Forschungsgruppe DS&OR ihr Know-how und eine solide Basis an Fachwissen entwickeln. VeraFischer meint: «Wir wollen nun unsere Forschungsarbeiten weiterführen und diese Algorithmen für wissenschaftliche Publikationen oder andere Tätigkeitsbereiche optimieren».

Wir können die Fahrzeuge berücksichtigen, über die die Gemeinde verfügt oder den Kauf von schadstoffärmeren Fahrzeugen in Betracht ziehen. Der Lösungsalgorithmus bleibt flexibel und passt sich den Kriterien und Daten an, die ihm zur Verfügung gestellt werden.

Meritxell Pacheco Paneque

Text: Sophie Roulin
Übersetzung: Barbara Horber
Projektbilder: Sonia Villegas

Kontakt

Bernard Ries

Head of Decision Support & Operations Research (DS&OR)
Professor- UNIFR
-transportation engineering
-smart houses or cities
-modeling, simulations and algorithms

Meritxell Pacheco

Decision Support & Operations Research (DS&OR)
Senior Researcher | Lecturer- UNIFR
-sociological and economical approaches
-modeling, simulations and algorithms
-interactions and design processes

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